Der Scherz

Scherz – Die heitere Seite der Aufklärung

Die Entdeckung der Heiterkeit

Ausstellung zum 300. Geburtstag Gleims im Gleimhaus Halberstadt - 15. Juni bis 15. September 2019

Johann Wilhelm Ludwig Gleim wurde mit scherzhafter Dichtung von Wein, Liebe und Lebensfreude als junger Dichter gleichsam über Nacht zum Literaturstar. Er hatte sich den griechischen Dichter Anakreon zum Vorbild genommen und brachte anakreontische Dichtung in Mode. Der Scherz war um die Mitte des 18. Jahrhunderts Programm. Er war ein Stilmerkmal der Künste und auch ein Leitwert der Geselligkeit, ähnlich wie die Freundschaft. Er stiftet zwischenmenschliches Einvernehmen und war damals wie heute eine zutiefst menschliche Angelegenheit. Mit einer Ausstellung zum 300. Geburtstag Gleims soll jenes Scherzhafte neu betrachtet und gewürdigt werden.

Nicht der ‚Witz‘, der übrigens im 18. Jahrhundert im Sinne von ‚Gewitzheit, Scharfsinnigkeit‘ verstanden wurde, ist Gegenstand der Ausstellung, sondern eher das ‚Scherzhafte‘, das nicht so sehr lustig, als vielmehr heiter ist.
Scherzhafte Dichtung war stets streitbar und ist es bis heute. Vernunft und Religion, Moral und Arbeitsethos fühlen sich durch den Scherz leicht provoziert. Kritiker tadelten an der scherzhaften Dichtung – wie am Rokoko überhaupt – Belanglosigkeit und Frivolität.
Der scherzhafte Ton des Rokoko geht mit lebensphilosophischer Nachdenklichkeit einher. Er ist ein Bekenntnis zur Diesseitigkeit und tritt für die Freude als humanes Gut ein. Die Entdeckung der Heiterkeit und der Daseinsfreude stellen sich als epochale Errungenschaft von ungebrochener Modernität dar.
Gleim ist in der deutschen Geistesgeschichte hauptsächlich nur noch als Sammler, Genie der Freundschaft und Literaturmäzen bekannt. Ein besonderes Dokument des Zeitalters der Aufklärung sind seine Sammlungen zur literarischen Aufklärung in ihrem Zusammenspiel: sein so genannter „Freundschaftstempel“ mit den Porträts von Dichtern und Denkern, mit denen er befreundet war, seine sehr umfangreiche Bibliothek und sein Literaturarchiv. Diese Sammlungen sind im Gleimhaus hinter dem Halberstädter Dom, einem der ersten deutschen Dichtermuseen, erhalten. Mit den Rollen Gleims als Sammler und Förderer ist in der Literaturgeschichtsschreibung oft die Vorstellung des alten, von der literarischen Entwicklung längst überholten und von Goethe verspotteten, etwas trutschigen Dichtergreises verbunden. Tatsächlich aber war Gleim einer der meistgelesenen Dichter seiner Generation, der von seinem literarischen Debüt an, dem „Versuch in Scherzhaften Liedern“ (1744), der literarischen Entwicklung vielfältige Impulse verliehen hat.

Die Leserschaft – und erstmals auch die Leserinnenschaft – bewunderte die beschwingte, gewitzte Heiterkeit des jungen Gleim. Seine Originalität gefiel. Auch in ihrer Auseinandersetzung mit dem griechisch-antiken Vorbild fand die Dichtung Beachtung. Dass die Presse den Autor der Freigeisterei verdächtigte, machte ihn vielleicht umso interessanter. Mit seinem Frühwerk, mit seinen Briefen und mit seiner gelebten Geselligkeit war Gleim ein Pionier des Scherzes.
Die Ausstellung führt die Lyrik des Rokoko mit der Malerei und der Grafik sowie insbesondere mit der Porzellanplastik der Epoche zusammen. Sie zeigt unter anderem Meisterwerke von Boucher, Lancret und Pater sowie Figuren und Gruppen der Porzellan-Manufakturen Meißen, Frankenthal und Höchst aus bedeutenden öffentlichen und privaten Sammlungen sowie aus dem Kunsthandel. Sie sondiert die Sphären Sinnlichkeit/Erotik, Weingenuss und Geselligkeit als die Reiche des Scherzes, skizziert mit Wortführern und Gegnern des Scherzes eine kleine Ideengeschichte des Scherzes und des Vergnügens von der Antike bis in die Gegenwart und beschert auch dem ‚Gott des Scherzes‘ seinen Auftritt.

Mit dem scherzhaften Ton rückt die sinnliche, affektive und heitere Seite der Epoche der Aufklärung in den Blick. Die Ausstellung wird unterstützt von der Kulturstiftung der Länder, Lotto Sachsen-Anhalt, der Ernst von Siemens Kunststiftung, den Öffentlichen Versicherungen Sachsen-Anhalt (ÖSA) sowie der Stiftung der Kreissparkasse Halberstadt. „Das Gleimhaus in Halberstadt steht für ambitionierte Ausstellungsprojekte. Am authentischen Ort hat die Schau zum 300. Geburtstag J. W. L. Gleims große Bedeutung für das kulturelle Angebot in der Region und wird zugleich für überregionale Aufmerksamkeit sorgen. Die Darstellung der bisher wenig erforschten heiteren Seite der Vernunft mit den Mitteln von Literatur und Kunst setzt wissenschaftliche Forschung vorbildlich in anschauliche Vermittlung um.“ – mit diesen Worten begründet Prof. Dr. Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, die Förderung. „Das Gleimhaus in Halberstadt ist eines der wenigen Literaturmuseen, die die Kunststiftung fördert. Seien es nun Ankäufe für die Porträtgalerie des Freundschaftstempels oder Ausstellungen, die immer von thematisch höchstem Reiz sind. Scherz – die heitere Seite der Aufklärung, haben wir deshalb gerne unterstützt“, freut sich Dr. Martin Hoernes, Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung.

Ein Katalog mit literatur-, kunst-, philosophie- und sprachgeschichtlichen sowie psychologischen Beiträgen und einer Auswahl scherzhafter Gedichte ist im Wallstein Verlag, Göttingen, erschienen.

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Ernste Gedanken zum Scherz

Die derzeitige Sonderausstellung des Gleimhauses „Scherz – die heitere Seite der Aufklärung“ zeigt, dass das Recht auf Scherz und Vergnügen keine Selbstverständlichkeit ist, sondern eine Errungenschaft. Zu allen Zeiten gab und gibt es auch Feinde des Vergnügens. Die Gedanken-Werkstatt im Gleimhaus beleuchtet an den kommenden Montagen, 8., 15. und 22. Juli Meinungen zum Scherz, zur Heiterkeit und zum Vergnügen aus verschiedenen Zeiten von allen Seiten. Dabei wird versucht, verschiedene Formen von Scherz, Spaß und Heiterkeit zu unterscheiden und eine eigene Haltung zu diesen zu finden. Damit die Diskussionen heiter und nicht zu hitzig werden, wird es kühle Getränke geben! Der Eintritt ist frei, eine Voranmeldung ist nicht erforderlich

Mi, 10. Juli, 19.30 Uhr | Geist und Muse bei Gleim: Soll ich spielen? Soll ich scherzen? Theaterperformance von und mit Götz Lautenbach (Eintritt 5,-/3,-€)
Sa./So., 13./14. Juli | Humor, Wut, Leidenschaft. Poetry-Slam-Workshop mit Bas Böttcher
Do, 18. Juli, 19.30 Uhr | Hofabend bei Gleim: Scherzhafte Bücher mit Annegret Loose
Mi, 14. Aug., 19.30 Uhr | Geist und Muse bei Gleim: Vergnügliche Aufklärung mit Lessing, Dieter Fratzke und Birka Siwczyk, Kamenz
Do, 15. Aug., 19.30 Uhr| Hofabend bei Gleim: Scherzhafte Briefe mit Dr. Ute Pott
Mi, 11. Sept., 19.30 Uhr | Geist und Muse bei Gleim: Lebenslust und Liebesfreude - eine französische Spezialität? Gemeinschaftsveranstaltung mit dem Institut français de Saxe-Anhalt
Sa./So. 14./15. Sept. | Humorworkshop mit Udo Berenbrinker, HumorKom
So, 15. Sept., 16.00 Uhr| Rokoko-Koketterie zur Finissage mit Ilka Sieler (Eintritt 5,-/3,-€)

BILDUNTERSCHRIFTEN
1.Johann Joachim Kaendler, Porzellan-Manufaktur Meißen: Liebespaar mit Vogelbauer, 1736, Sammlung Prof. Goepfert, Düsseldorf (Foto: Christoph Münstermann)
2. Norman Lodahl: Büste Gleims, 2019, Gleimhaus (Foto: Gleimhaus)
3. Stockgriff mit Damenbüste, Porzellan-Manufaktur Ludwigsburg, um 1765, Daniela Kumpf, Wiesbaden (Foto: Ursula Seitz)
4.Nicolas Lancret: Le concert galant – Galantes Konzert, um 1725, Ausschnitt, Derek Johns Old Master Paintings, London (Foto: Derek Johns)
5.Jean-Baptiste Pater: Blindekuh, um 1730, Ausschnitt, Röbbig München (Foto: Luigi Caputo)
6. Johann Wilhelm Ludwig Gleim: Versuch in scherzhaften Liedern, 1744, Gleimhaus (Foto: Gleimhaus)